Skandalrapper Tyler, The Creator: Der Allround-Beleidiger (2024)

Wie der umstrittenste Rapper der Welt wirkt Tyler Okonma, 20, alias Tyler, The Creator an diesem Nachmittag nicht gerade. Er sitzt an einem Biertisch im Garten eines alternativen Kulturzentrums in Berlin-Friedrichshain, trinkt Saft, isst eine Pizza und blinzelt in die Sonne. Am Abend wird er das letzte Konzert seiner ersten Europa-Tour spielen. Er hat einen beeindruckenden Bariton. Nur ein vernünftiges Interview kann man mit ihm nicht führen. Ausgeschlossen.

"Stell mir ein paar gute Fragen. Frag mich, was mein Lieblingstier ist." - "Dein Lieblingstier?" - "Ich mag Tiere." - "Okay. Was ist Dein Lieblingstier?" - "Der Dinosaurier." - "Der Dinosaurier? Gilt der als Tier?" - "Der Dinosaurier ist mein Lieblingstier. Würdest Du einen Dinosaurier ficken?" So geht das eine gute halbe Stunde lang.

Nicht, dass es mit Tyler, The Creator nichts zu diskutieren gäbe. Er ist der Kopf der Odd Future Wolf Gang Kill Them All (abgekürzt OFWGKTA), einer Crew aus Los Angeles. Zusammen haben sie in den vergangenen Monaten mit überdrehten Songs, die von Sex und Gewalt handeln, die HipHop-Welt auf den Kopf gestellt. "Yonkers", der Videoclip zu Tylers erster Single für sein Album "Goblin", ist einer der verstörendsten Musikfilme seit langem. In einfachem Schwarz-Weiß gedreht, zeigt sie Tyler, wie er eine Kakerlake über seine Hand krabbeln lässt, sie schließlich in den Mund nimmt, sie zerkaut, sie wieder auskotzt, um sich dann in einen Zombie zu verwandeln, dem Blut aus der Nase fließt. Am Schluss legt er sich eine Schlinge um den Hals und springt von einem Hocker. Aber Tyler möchte nicht diskutieren.

Große Gefühle für einen Haufen Teenager

HipHop, ein Genre, das in den vergangenen 30 Jahren ja oft an der Grenze von Gewalt und Gewaltphantasie balancierte, und einen großen Teil seiner poetischen Kraft aus der Realitätsanmutung zog, die fast immer zwischen den Zeilen hervorzuschimmern schien, hat neue Helden. Der britische "New Musical Express" feiert die OFWGKTA als den "ultimativen Anti-Establishment-Act", die "Süddeutsche Zeitung" vergleicht Tyler, The Creator mit Miles Davis, das Musikmagazin "Spex" dessen Crew mit dem Wu-Tang Clan. Niemanden lassen sie gleichgültig, entweder werden sie in den Himmel gehoben oder in die Hölle gewünscht.

Große Gefühle für einen Haufen Teenager, die vor einem Jahr noch niemand kannte. Zumal in den vergangenen Jahren kein Mangel an Künstlern herrschte, denen nachgesagt wurde, sie würden HipHop vor der künstlerischen Stagnation retten - und die nur selten halten konnten, was man sich von ihnen versprach. Dass HipHop immer wieder gerettet werden muss, schien eher der fundamentalen Schwäche des Genres geschuldet als der Stärke von Künstlern wie Flying Lotus, HipHop schien zu Ende erzählt und ausgelaugt.

Und jetzt diese Crew von Irren, Odd Future Wolf Gang Kill Them All. Typen, die sich Jasper, The f*cking Dolphin nennen, Left Brain oder Earl Wolf, wobei Earl seit neuestem verschwunden ist. Es heißt, seine Mutter habe ihn in ein Bootcamp auf Samoa geschickt, als sie seine Songs im Internet entdeckte und die Gewaltphantasien ihres Sohns hörte. Jungs, die den lieben langen Tag von Schlampen rappen, die eins auf die Mütze bekommen, davon, dass der Rest der Welt im wesentlichen aus Schwuchteln besteht, denen man ebenfalls einen mitgeben muss. So überdreht allerdings, dass die Absicht, damit vor allem der Welt auf die Nerven zu gehen, deutlich zu Tage tritt.

Das alte Eminem-Konzept

Das Beste allerdings ist etwas ganz anders: die schiere Wucht ihres Auftritts, die Gewalt, mit der sich hier eine Gang hinstellt und sagt "Wir sind da". Dutzende von Stücken stellen sie auf ihrer Homepage zum freien Download bereit, an die 60 Leute soll OFWGKTA eigentlich umfassen, eine Skatergang aus Los Angeles. Außerdem interessant: Es sind keine Ghettokids. Tyler behauptet im Interview zwar, sein Leben mit Drogenhandel und sonstiger Kriminalität zu bestreiten, um es kurz darauf wieder zu dementieren. "Ich bin eine widersprüchliche Persönlichkeit."

Es ist das alte Eminem-Konzept: Bring die Welt durch widersprüchliche Aussagen durcheinander - und der Skandal wird sicher kommen, weil sich irgendjemand beleidigt fühlt. Und dafür geben Tyler, The Creator und seine Crew fast jedem einen Anlass: Sie hassen eigentlich alle: Schwule, Frauen, andere Rapper, die Eltern, die Schule, die Polizei. Wobei es wiederum nicht die blinde Wut ist, die an ihren Stücken bezaubert, sondern die Freude, mit der sie sich in dieses Gefühl werfen. OFWGKTA ist eine Rap-Crew, die gerade merkt, dass die Welt sie dafür liebt, von ihr gehasst zu werden.

Später am Abend dann treten sie auf. Tyler hat zwei Co-Rapper und Syd dabei, die Produzentin der Odd-Future-Alben, ein zartes lesbisches Mädchen, sie ist der DJ hinter der Rapper-Horde. Das Konzert ist intensiv, laut, verschwitzt. Tyler springt regelmäßig ins Publikum und surft über die Köpfe hinweg. In Amsterdam sollen sich einige Leute bei der Show verletzt haben, als sie von einer Empore heruntersprangen, Dutzende Fans sollen am Schluss die Bühne gestürmt haben. So wild wird es hier nicht. Aber immerhin: Nach ungefähr einer Stunde brechen die Ordner den Auftritt ab, als ein paar Jungs aus dem Publikum auf die Bühne springen. Nicht ganz so denkwürdig, aber immer noch standesgemäß für eine Skandalrapper-Crew.

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