Tyler, The Creator verabschiedet sich von der Dauerprovokation (2024)

Von all den schlimmen Phrasen, die der neue, schülerzeitungsnahe Debatten-Journalismus der Jugend-Netzportale auf der schwarzen Liste des Unsagbaren platziert hat, zum Beispiel "Hallo?! Geht's eigentlich noch?" oder "Können wir bitte endlich mal aufhören, dies oder das zu tun?", ist das hier die schaurigste: "Wir müssen reden!" Aber jetzt brauchen wir sie, ausnahmsweise. Tyler, wir müssen reden. Setz dich, nimm dir 'nen Keks. Und erzählmal.

Gemeint ist Tyler, The Creator, seit gut zehn Jahren einer der buntesten, kontroversesten und kunstsouveränsten Vögel der zeitgenössischen Rap-Musik. Eigentlich Tyler Okonma, 30, der als Skater und Querulant in einer der besseren Gegenden rund um Los Angeles aufwuchs. Der mit 18 rappte, dass er auf jeden Fall einen Grammy-Award haben wolle, ihn mit 28 dann wirklich gewann. Und der nun wieder ein ganz außergewöhnliches Stück veröffentlicht hat. Einen über acht Minuten langen Track namens "Wilshire", in dem er so plaudernd und emotional unvermittelt eine Geschichte aus seinem Leben zu erzählen scheint, wie man es im Hip-Hop heute nur sehr, sehr seltenhört.

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Dazu muss man sagen, dass Tyler ansonsten ein Großmeister der Verkleidungen und verbalen Sturmtiefs ist. Auch auf dem Album, auf dem das Stück enthalten ist und das Anfang Juli auf Platz eins der US-Charts steht. Es heißt "Call Me If You Get Lost", ist zusammen mit den dazugehörigen Videos eine wahre Blendgranate an modischen und musikalischen Stilbildern, Formatideen, Wortspielen, Kreuz-und-Quer-Referenzen. Am Ende kommt man trotzdem immer wieder auf den besagten Song zurück. Und nicht nur, weil er in der Tat am Ende des Albumssteht.

Die Basis von "Wilshire" ist ein Schlagzeug-Groove, wie er vor allem in den Neunzigerjahren beliebt war, darüber ein warmblütig pulsierendes E-Piano, das aus einer Siebziger-Aufnahme des finnischen Jazzrockers Pekka Pohjola stammt. Und dann erzählt Tyler, The Creator, bekannt als Apokalypse-Kasper und Motorsägen-Hänschenklein, was ihm widerfahren ist, mit tiefergelegten, entspannten Stimmbändern. Berichtet, wie er die Partnerin seines guten Freundes kennenlernte. Wie sie sich verliebten, näherkamen, aber der Interessenkonflikt keinen Betrug zuließ. Verbotene Liebe, tausendmal berührt, es ist eine Soap Opera, die Tyler hier ausbreitet, empathisch, selbstzweifelnd. Fast wie die Malcolm-X-bärtigen Storyteller aus dem alten New York, nur eben reinprivatpolitisch.

2015 wurde Tyler die Einreise nach Großbritannien verweigert. Für vier Jahre

Natürlich kann es trotzdem sein, dass die Geschichte erstunken und erfunden ist. Es ist nicht die eventuelle Wahrheit, die dieses Rap-Stück so faszinierend macht. Es sind der Ton, die Haltung, die perspektivischeVerbindlichkeit.

In einer Zeit, in der wegen diverser Vorfälle gerade beim Thema Hip-Hop heißer denn je gestritten wird, wieviel Werk im Autor steckt und umgekehrt ( siehe hier zur aktuellen Debatte in Deutschland), nimmt man ein Tyler-Album ja unweigerlich auch als Diskussionsbeitrag wahr. Vor allem am Anfang seiner Laufbahn, als Leitwolf des wilden Kollektivs Odd Future, waren seine Raps nur so durchzogen von aggressivem Nihilismus, Schwulenspott und Gewaltfantasien gegen Frauen. 2015 wurde Tyler die Einreise nach Großbritannien verweigert, vier Jahre blieb er aus dem wichtigen Hip-Hop-Kernmarkt verbannt. Die damalige Innenministerin Theresa May begründete das allein mit Zeilen aus Songtexten. Ein erstaunlicher, einmaligerVorgang.

Zum Lämmchen ist der Wolf seither zwar nicht geworden, aber Tyler hat sich längst von den gefährlichen Pennälereien emanzipiert. Hat auf nebulöse Art die eigene Bisexualität angedeutet und vor allem das bis zum Donnerschlag durchgezogen, was auch die mindertalentiertesten Rapper heute gern für sich einklagen, sobald man sie bittet, ihren Schweinkram mal näher zu erklären: Tyler, The Creator schafft es, Hip-Hop als Spiel und wirklich hohe Kunst zu zelebrieren. Als tragfähigen ästhetischen Rahmen, in dem gerade die Qualität des Fiktionalen dann auch wieder aufrichtige Aussagen möglich macht und sogarbeglaubigt.

Den Gefallen, sich wenigstens ab und zu eindeutig zu positionieren, tut er uns nicht

Auf "Call Me If You Get Lost" nimmt Tyler nun die Rolle des reisefreudigen Fellmützen-Dandys Tyler Baudelaire an, einer Kreuzung aus Wes-Anderson-Filmfigur und Pepe, dem Paukerschreck. In den Videos erlebt er purzelbunte Urlaubsabenteuer, lackiert die Hip-Hop-Statussymbole zu Insignien eines europäischen Genfer-See-Jet-Sets um. Ob sie nicht mit ihm nach Cannes fliegen und dort obskure Indie-Filme gucken wolle, fragt er in "Wusyaname" höflich die Verehrte, über ein Soul-Sample, das sich wie eine Zuckerwattemaschine dreht. Genießt in "Corso" einen grimmigen Moment der Manie, während Disharmonien aus dunkelsten Wu-Tang-Kammern unter ihm hinwegrumpeln: Ja, er hoffe, dass die Frau beim Sex mit ihrem Mann an ihn denke. Denn er sei derPerfekte.

Und so puzzelt sich langsam zusammen - sicher nicht beim ersten Hören - was dieses Album eigentlich ausmacht. Dass Tyler, The Creator hier die Geschichte der Liebeswirren, die er im "Wilshire" als monologische Nachschrift so trocken und intim erzählt, erst mal als riesiges, irres Prisma inszeniert, mit unzähligen verschiedenen Stilfarben und Stimmen, inneren und externen. Und es dem Publikum gewissermaßen selbst überlässt, gern auch je nach Tagesform, welche Version ihm als die emotional glaubwürdigereerscheint.

Nur einen zeitaktuellen Kommentar kann Tyler, The Creator sich auf "Call Me If You Get Lost" dann doch nicht verkneifen. Mit ausgesprochen geplatztem Kragen erteilt er im spukigen "Manifesto" all denen eine Absage, die von ihm erwarten, dass er sich als schwarzer Künstler zur "Black Lives Matter"-Bewegung bekennen müsse. Am Ende seien das dieselben, im selbstgerechten Vorzeige-Antirassismus eingekuschelten weißen Hörerinnen und Hörer, meint er, die ihn kürzlich noch für die Gewalt in seinen Texten gekreuzigthätten.

Den Gefallen, sich wenigstens ab und zu eindeutig zu positionieren, tut der große Junge Tyler uns immer noch nicht. Der Kern an Aufrichtigkeit, der in seiner Kunst steckt, ist umsostabiler.

Tyler, The Creator verabschiedet sich von der Dauerprovokation (2024)

FAQs

What happens when you call 855 444 8888? ›

The billboard read "Call Me If You Get Lost" and included the phone number, +1 (855) 444-8888. When called, a recorded message was played of a conversation between Tyler and his mother. That recording is in the album as the track "Momma Talk".

What is the trivia about Tyler, the Creator? ›

Tyler Gregory Okonma was born on March 6, 1991, in Hawthorne, California, the son of a Nigerian father with Igbo ancestry and an American mother of mixed African-American and white Canadian descent. He never met his father and spent his early life living in Hawthorne, moving to Ladera Heights at 17.

What does Call Me If You Get Lost Tyler mean? ›

In his Portland Show, Tyler explains “Call Me If You Get Lost” doesn't mean to call him when you don't know what to do, but instead call “me” when you get lost in the world doing your business finding yourself.

Is 1 855 scammer numbers? ›

Is an 855 Area Code a Scam or Fraud? 855 area codes have a reputation for being used in scam calls—and, sadly, this is not unfounded. The 855 area code number and other similar toll-free codes are very popular amongst fraudsters, in particular those looking to carry out the infamous one ring scam.

What happens if you say hello to a robocall? ›

Many robocall scams start with a question like “Hello, can you hear me?” to which people may reply “yes” without thinking. They can then store the recording of your confirmation and use it for fraudulent activities. So, avoid saying yes where possible.

Why did Tyler win a Grammy? ›

GRAMMY Rewind: Tyler, The Creator Shares Best Rap Album Win With His Nearest & Dearest At The 2020 GRAMMY Awards. As Tyler, The Creator took the stage to accept his GRAMMY award for Best Rap Album for 'IGOR' — his first golden gramophone — he brought two very special people up with him.

When did Tyler win his first Grammy? ›

Tyler, the Creator won his first Grammy award in 2020 in the best rap album category for Igor, but criticized the Recording Academy for failing to recognize Black artists in mainstream pop categories when their music spans more than one genre.

How did Tyler get popular? ›

In 2008 Tyler, The Creator founded the hip-hop collective Odd Future, a controversial, alternate group. At such a young age Tyler, The Creator became a hit in 2011 with his first single Yonkers, which was a track from his upcoming album, Goblin.

Why is my name Tyler? ›

What Does Tyler Mean? The name Tyler is of Old French origin from the world tieulier meaning tiler or tile maker. In Middle English the spelling became tyler. The name was used for a person who lays tiles or bricks, and often as an occupational name for a housebuilder.

Who made Call Me If You Get Lost? ›

Fan theories have been floating around since it's 2021 release, but Tyler, the Creator has officially explained the meaning behind his Grammy winning LP Call Me If You Get Lost.

What does Tyler translate to? ›

Tyler (name)
Pronunciation/ˈtaɪlər/
GenderUnisex
Origin
Word/nameOld English
Meaning"Maker or layer of tiles, house builder" or "Doorkeeper of Inn or Tavern"
5 more rows

What happens if I call an 855 number? ›

What is an 855 area code number? An 855 number is a toll-free number, meaning it's free for callers to dial. No matter the distance, your leads, clients, and other stakeholders can speak with you in real-time without worrying about the cost.

Who is calling me from 855? ›

You may get calls from the 855 area code for various reasons. The 855 toll-free number is a pre-fix used by many legitimate businesses. Like any other phone number, it can also be used by spammers and scam operations who mass distribute robo calls or use deceptive practices.

What is 855 code of? ›

Cambodia (country code +855)

How do I find out who owns an 855 number? ›

Yes, you can trace the 855 area code phone number. You can simply make a quick Google search to know the owner of the phone number. If the business is legit you can find the number on the internet.

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Author: Geoffrey Lueilwitz

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Name: Geoffrey Lueilwitz

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